Gartenschläfer-Meditation (Juni 2022)

Vor drei Tagen brachte mir eine Freundin zwei kleine Gartenschläfer, die sie verlassen auf einer Baustelle fand. Sie irrten -die Augen noch geschlossen- fiepend umher und suchten offenbar die Mutter. Leider kommt es immer wieder vor, dass Muttertiere einer Katze oder einem Auto zum Opfer fallen. Die Kleinen verlassen dann oft Hilfe suchend das Nest, schreien sich sprichwörtlich die Seele aus dem Leib und wären zum Tode verurteilt, wenn sie nicht ein Mensch findet.

Nun übernehme ich seither den Gartenschläfer-Mama-Job, halte die Kleinen warm (wahlweise am Körper oder -wenn ich zu sehr in Bewegung bin- mit einer Wärmflasche) und gebe ihnen Milch. Glücklicherweise sind sie zu zweit, sodass sie auch aneinander etwas Halt finden.

Sehr oft liegen sie wie Yin und Yan zusammengerollt und schlummern zufrieden! Das ist entzückend!

Mein Tagesablauf, mein ganzer Rhythmus ist im Moment geprägt von dieser Aufgabe:

Alle drei bis vier Stunden müssen die beiden gefüttert werden, auch nachts. Ich bin ein Mensch, der sehr viel und vor allem erholsamen Schlaf braucht und ich war zu Beginn etwas ängstlich, ob diese Aufgabe mich nicht völlig überfordern würde.

Das Gegenteil ist der Fall.

Mein Tag bekommt eine Struktur und Sinnhaftigkeit, die ich selten und in diesem Ausmaß bisher noch gar nicht erleben durfte. Mein Alltag wird immer wieder „unterbrochen“, bekommt viele kleine Pausen, in denen die Zeit stehen zu bleiben scheint. So oft ich in den letzten Wochen und Monaten immer wieder gesagt habe: „Ich brauche mehr Ruhe und Zeit für mich“, so sehr finde ich sie jetzt durch eine Form der Erdung, die ich als großes Geschenk empfinde. Während des Fütterns bin ich ganz da, bei dem jeweils einen und anderen kleinen Schläferchen. Ich bekomme mit, wie unterschiedlich sie sind und wie sehr sich ihre Bedürfnisse von Tag zu Tag ändern.

So ist der eine eher forsch und findet den Milchnuckel sehr zügig. Der andere braucht dafür immer etwas länger, muss vorher gehalten werden, damit er etwas zur Ruhe kommen kann und trinkt am liebsten sitzend auf einer kleinen Stoffmaus! Es ist ein Ausprobieren, Anfühlen und auch ein Mutig-Sein für mich. Ich werde mit Ängsten konfrontiert, die ich so noch nicht kannte:

Haben sie es warm genug, nicht zu warm? Sind sie satt und war die Milch richtig angerührt? Bleiben sie gesund und nehmen an Gewicht zu?

Und hinter allem steht das Gefühl, verantwortlich zu sein und die Sorge, nicht alles getan zu haben. Verantwortlich für diese zwei Wesen, die ohne menschliche Hilfe nicht überlebt hätten und überleben würden. Dann taucht sofort eine weitere Frage auf:

Ist es in Ordnung derart in „die Natur“ einzugreifen?

Aber wo beginnt und wo endet „die Natur“? Wenn ich davon ausgehe, dass alles mit allem verbunden ist, somit auch ich -so wie jeder Mensch- ein Teil der Natur bin, stellt sich diese Frage nicht mehr. Und schließlich ende ich immer bei -ich nenne es mal- Gottvertrauen: Die zwei Wesen sind nun hier und ich tue, was mir möglich ist. Einfach, weil es für mich Sinn macht, weil ich nicht anders will und kann. Das ist keine Entscheidung des Verstandes, wie ich sie so oft treffe. Etwas in mir weiß, dass genau diese Hingabe jetzt richtig ist, weil darin für mich der Kreislauf des Lebens, die größtmögliche Lebendigkeit überhaupt liegt: Geboren werden, leben, sterben und wieder geboren werden.

Ähnlich den Jahreszeiten, die denselben Wechsel vollziehen: Energie geben, abwarten, einatmen, ausatmen, loslassen -im Großen wie im Kleinen! Im Moment gebe ich Energie, bekomme dafür Atem-Pausen geschenkt. Ich lerne zu vertrauen, weil es nicht in meiner Hand liegt, was die zwei Kleinen aus dieser Energie machen. Wenn sie es schaffen, werden sie irgendwann „wild“ und wollen das Nest verlassen. Dann heißt es loslassen und wieder vertrauen, dass der Sprung in die Welt und in den Wald gut gelingt.

Und bis dahin genieße ich das Geschenk dieser kleinen Gartenschläfer-Meditation!

Hildegard von Bingen hat einmal gesagt: Aus der Ewigkeit entspringt eine Kraft und die ist grün.

Und ich kann für den Moment sagen:

Aus der Ewigkeit entspringt eine Kraft und die hat einen weichen, grauen Pelz, eine Zeichnung im Gesicht und einen langen, buschigen Schwanz!

 

Kontakt

Eva Rygusiak (Dipl.Päd.)

Systemisches Coaching für Mensch und Hund

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